08.04.2010
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/1159802/
Das britische Traditionslabel EMI steht vor dem Aus
Von Laf Überland
Die britische Electric and Musical Industries - kurz: EMI - steht vor ihrer Zerschlagung. 2007 wurde das Traditionshaus von einem Finanzinvestor übernommen,
der die Kosten des Kaufs der Firma aufbürdete. Der Schuldenberg beläuft sich mittlerweile auf drei Milliarden Pfund und dem Label laufen die Künstler weg.
Letzte Woche verstrich eine vom Hauptgläubiger Citigroup gesetzte Frist, und wenn die EMI jetzt nicht noch irgendwas zaubert, dann darf das (selber angeschlagene) Bankenkonsortium vom 14. Juni an den Traditionsmusikkonzern zerlegen.
Steht Großbritannien jetzt Kopf? Nicht wirklich, zu abgebrüht sind die unsentimentalen Engländer, zumal ihnen sowieso die Krisen nur so um die Ohren fliegen seit einer Weile. Aber die alte Tante EMI ist schon ein zentrales Stück englischen Kulturguts: Sie geht zurück auf die Firma, die der Grammophonerfinder Emil Berliner 1898 höchstselbst gründete, und sie ist ein mächtiger Mythenschatz: Ihr gehören die Abbey Road Studios, zu ihr gehören das Beatleslabel Apple und so bedeutende Pop- und Rockmarken wie Capitol, Parlophone und Virgin, aber auch das traditionsreichste Jazzlabel Blue Note - mindestens 101 Unterlabels insgesamt.
In seiner Geschichte bestimmte dieser bis heute rein britische Plattenkonzern via Commonwealth den Musikgeschmack der halben Welt - bis in die 60er hinein ging das, aber dann hatte er ja die Beatles (mit deren Erlösen er übrigens die Entwicklung des ersten Computertomographen finanzieren konnte, krank werden Leute ja immer ...).
Die digitale Musikblase zertrümmert den ersten der großen Musikkonzerne, von denen es - nach Fusionen, Übernahmen und Marktbereinigungen, wobei die Partner wechselten wie beim Gruppensex - nur noch vier gibt. Diese Blase war entstanden, als die CD auf den Markt kam: Da wollten, ach, da mussten einfach alle Popliebhaber sich ihre Plattensammlung noch mal neu als CDs kaufen, weil die angeblich viel besser klangen und so ...
Und dieser Boom bescherte der in den 90ern doch arg gebeutelten Musikindustrie ein unerhörtes Hoch - und eine Schwemme von Bankern, die plötzlich an die Türen der Konzerne klopften und mitmachen wollten beim Musikveröffentlichen! Und ab da galt vor allem: Personal sparen, Fixkosten senken, höhere Gewinne sichern, Charts erobern!
Seit 2002 war dann doch nicht mehr zu übersehen, dass die Musikindustrie massive Umsatzeinbrüche verbuchte, die durch den Internettrend zum illegalen Download verursacht wurden. Und so zog eine neue Krise herauf - schlimmer als alle zuvor!
Die alte Tante EMI holte sich deshalb vor drei Jahren einen ganz harten Hund, und vielleicht wusste der ultrakonservative Immobilienspekulant Guy Hands, als er den Musikkonzern erwarb, tatsächlich nichts von dem quasi-freiheitlichen Feingefüge der Popkultur. Vorher hatte er nämlich hauptsächlich Raststätten-, Hotel- und Pubketten übernommen und sich zum größten Kinobesitzer Europas gemacht. Er optimierte vor allem das Einsparpotenzial und ignorierte dabei die Seele im Popgewese, und das ist so, als würde man Schnaps ohne Alkohol verkaufen!
Und es dauerte nicht lange, da verließen die Stones die alte Tante - genau wie Radiohead, Coldplay oder auch Paul McCartney - der ließ seine Musik plötzlich über die Coffe-to-go-Kette Starbucks vertreiben, alles möglich heute. Bezeichnenderweise gingen sie aber alle, nachdem der Heuschreck Guy Hands den Konzern übernommen und seine finanztechnisch angeblich notwendigen Änderungen durchgedrückt hatte. In einem Schreiben an die Musiker ermahnte Hands zur regelmäßigen Abgabe von Alben - und drohte doch tatsächlich schriftlich damit, allen "faulen Musikern" zu kündigen. Tscha... (Schlechtes neunzehntes Jahrhundert, irgendwie!)
Der systematische Grundfehler der Musikindustrie ist die fehlende Demut vor der Kunst - auch ihrer Popartisten. Das Monopol der Plattenindustrie hat trotzdem so lange funktioniert, wie sie auch das Monopol für die Tonträgerherstellung hatte - mehr oder weniger. Seit keine Tonträger mehr nötig sind, weil Musik sich virtuell transportieren lässt und trotzdem ankommt, ist die Macht der großen Firmen gebrochen. Das Problem, das sich für sie daraus ergibt, ist, dass nun keine Instanzen mehr den Wust an Musik, der eingespielt wird, in handelsübliche Gebinde pressen. Und deshalb ist wahrscheinlich alles, das vor die Hunde geht, wenn die EMI vor die Hunde geht, ein Vertriebssystem mit angeschlossenen Produktionsmitteln.
Bis es soweit ist, wird alles probiert. Die Überheblichkeit der Popkonzerne ist dabei ungebrochen! So brachte die ja nun von der Zerschlagung bedrohte EMI neulich - über ihre Lobby im Parliament - den Entwurf für ein Gesetz durch, das noch vor den Wahlen im Mai abgenickt werden soll. Sein Name ist Digital Economy Bill, aber genannt wird es Lex EMI. Der Kerninhalt besagt, dass Tauschbörsennutzern nach zwei Verwarnungen der Zugang zum Internet überhaupt abgedreht werden soll. Das ist, als würde man jugendlichen Ladendieben, die insgesamt zweimal erwischt wurden, das Einkaufen verbieten! EMI und die Detektive!!! Höhö!